Wie ich die innere Leere nach meinen Fehlgeburten wieder füllen konnte.
Als Christina Diehl mit Mitte 30 bereit für eine Familie ist, wird sie sofort schwanger. Voller Vorfreude und Zuversicht startet sie gemeinsam mit ihrem Partner in ein neues Leben – bis zur niederschmetternden Diagnose der Frauenärztin: Das Herz des Babys schlägt nicht mehr. Sie fällt in ein Loch, verliert aber nicht den Mut. Doch nach fünf weiteren Fehlgeburten findet sie aus der Leere kaum mehr raus. Der Druck der biologischen Uhr, die Schuld- und Schamgefühle überrollen sie und sie sucht bei sich und ihrem Körper nach der Ursache für ihre Fehlgeburten. Die Erlebnisse hat sie aufgearbeitet und mittlerweile ist Christina Diehl als Autorin, Coach und Speakerin tätig. Ich freue mich sehr, dass es für die Fruchtbar heute einen Gastbeitrag gibt – einen Auszug aus ihrem Buch „Netter Versuch, Schicksal. Wie ich die innere Leere nach meinen Fehlgeburten wieder füllen konnte“. Erschienen ist das Buch im mvg Verlag.
Mir geht es gut. Immer noch. Dabei liegt meine letzte Schwangerschaft schon über ein Jahr zurück. Diese Tatsache hätte mich vor einer Weile noch in den Wahnsinn getrieben. Aber diesmal fühle ich mich gefestigt. Und entspannt. Zum Glück. Schließlich hätte es auch anders kommen können.
Natürlich habe ich auch schlechte Tage. An denen ich mich frage, warum ausgerechnet uns das passieren musste. Sechs Fehlgeburten innerhalb von fünfeinhalb Jahren. Warum ich? Warum wir? Das sind die Momente, in denen der Zweifel manchmal noch zaghaft bei mir anklopft. Wird das Leben ohne Kind auch später für mich okay sein? Oder werde ich irgendwann nochmal von einer Welle des Bedauerns überrollt?
Wenn sich diese Fragen leise in meinen Kopf einschleichen, erinnere ich mich an meinen Entschluss: Ich will auf keinen Fall noch einmal schwanger werden! Deshalb verhüte ich seit ein paar Monaten auch wieder. Aber diese Tatsache allein schützt mich nicht vor diesen kleinen emotionalen Rückfällen.
Warum heißt es eigentlich Plan B? Ist der Plan A dann automatisch das Leben mit Kind?
Christina Diehl: Netter Versuch, Schicksal
»Warum heißt es eigentlich Plan B?«, frage ich Markus, als ich das Handy zur Seite lege. »Ist der Plan A dann automatisch das Leben mit Kind?«Das ewige Gerede vom Plan B, sobald es mit dem Kinderkriegen nicht geklappt hat. Kein Wunder, dass sich das nach Trostpreis anhört.
»Gute Frage«, antwortet der und schaut von seiner Sportzeitschrift hoch. »Na ja, vielleicht, weil das kinderlose Leben zunächst tatsächlich eine Alternative ist, wenn man sich wie wir mal Kids gewünscht hat.« »Ja, sicher. Aber ist es deshalb auch immer die zweite Wahl? Für jeden kann der Plan A doch etwas anderes bedeuten. Schließlich hat doch jeder seine eigene Definition vom Glück, oder?«
»Absolut richtig. Deshalb kümmern wir uns jetzt um unseres«, grinst er, legt seine Zeitschrift zur Seite und greift zum Laptop, das neben seinem Liegestuhl liegt. »Gut, dass du mich daran erinnerst. Da recherchiere ich doch direkt noch ein paar Reiseetappen für uns!«
Recht hat er, grandioser Plan! Markus und ich werden nämlich für eine ganze Weile Urlaub machen. Für drei Monate, um genau zu sein. In dieser Zeit wollen wir durch Australien und Südostasien reisen. Und uns damit den Traum einer Auszeit erfüllen. Die Idee dazu schwirrt schon länger in unseren Köpfen herum. Eigentlich von dem Moment an, als wir unseren Kinderwunsch endgültig auf Eis gelegt haben. Aber so richtig fix ist unser Vorhaben erst seit vier Wochen, nachdem unsere Arbeitgeber unseren kurzen Sabbaticals zugestimmt haben. Seitdem steht fest, dass wir den kommenden Winter in der Sonne verbringen werden. Bei dem Gedanken daran rauscht mir die Aufregung wie eine Welle aus Endorphinen durch den Körper. In acht Wochen soll es losgehen, und ich könnte jetzt schon ausrasten vor Freude!
»Wahnsinn, dass Sie noch zusammen sind«, haben wir oft in Arztpraxen zu hören bekommen, sobald wir von unserer Geschichte erzählt haben. »Andere Paare können diesem immensen Druck nicht standhalten.«
Christina Diehl: Netter Versuch, Schicksal
Markus fängt an zu tippen, während ich ihn noch eine Weile mustere. Er gefällt mir mit seinem dunkelblauen Shirt und der Sonnenbrille auf der Nase. Zufrieden liest er sich durch die Traveltipps irgendwelcher Webseiten und wirkt, als ob ihn gerade nichts aus der Ruhe bringen könnte. Und das ist ja auch meistens so: Für mich ist er noch immer der unerschütterliche Fels in der Brandung und ich bin dankbar, dass ich ihn habe. Zusammen haben wir die schweren Jahre echt gut gemeistert.
»Wahnsinn, dass Sie noch zusammen sind«, haben wir oft in Arztpraxen zu hören bekommen, sobald wir von unserer Geschichte erzählt haben. »Andere Paare können diesem immensen Druck nicht standhalten.«
Das glaube ich sofort, habe ich jedes Mal gedacht und war gleichzeitig stolz auf uns. Natürlich war das alles nicht leicht. Diese ewig lange Zeit, in der vor allem ich in meiner Trauer gefangen war. Das hat uns beide oft an unsere Grenzen gebracht. Aber wir haben zusammengehalten. Und konnten schließlich gemeinsam loslassen. Vielleicht war das unser Glück im Unglück. Weil das sicher nicht selbstverständlich ist. Sobald nämlich einer von beiden nicht aufgeben kann, wird dieser Weg sicher zum noch größeren Albtraum. Weil er genau deshalb nicht selten in einer Trennung endet. Was für eine Horrorvorstellung, wenn in dieser Phase voller Verzweiflung auch noch der Partner Schluss macht. Meine Güte. Wer weiß, was andere über meine Erlebnisse hinaus noch zu erleiden haben. Ich fühle mit jeder einzelnen mit. Weil ich weiß, wie sehr der Schmerz lähmen kann. Da würde man Betroffenen, die gerade noch knietief in der Scheiße stecken und kein Licht am Ende des Tunnels sehen, doch am liebsten unter die Arme greifen. Und ihnen zurufen: »Ihr könnt es schaffen, gebt nicht auf! Ich dachte auch lange Zeit, dass ich das in keinem Fall durchstehen würde, aber wie ihr seht: Ich lebe noch!«
»Sag mal, was glaubst du?«, frage ich Markus, um ihn an meiner Eingebung teilhaben zu lassen. »Kann es sein, dass meine Geschichte anderen Hoffnung schenken könnte? Weil sie zeigt, dass der Weg aus einer richtig heftigen Krise gelingen kann?«
»Hm, ja«, antwortet der und schaut kurz vom Bildschirm hoch. »Das kann durchaus sein und ist gar keine schlechte Idee. So hätten Betroffene ein positives Beispiel vor Augen, sobald der Kinderwunsch zum Problem wird. Und daran könnten sie sich vielleicht hochziehen. Das hätte dir doch sicher auch geholfen, oder?«
»Absolut! Zu hundert Prozent! Schon in dem Moment, wo sich mir jemand mit seinem Schicksal offenbart hätte. Dann wäre ich mir nicht so unendlich alleine vorgekommen und ich hätte mich vielleicht schneller damit abfinden können.« Ja, da bin ich mir sogar ganz sicher: Ein positives Beispiel hätte mich aufgebaut! Und genau das hat mir gefehlt, als mich die Zweifel über meine unvorhersehbare Zukunft in Dauerschleife gequält haben. Woher hätte ich wissen sollen, dass am Ende alles gut sein würde? Und nicht nur Schmach und Elend auf mich warten würden? Ohne einen menschlichen Rettungsanker konnte ich lediglich blind darauf hoffen, irgendwann wieder auf die Füße zu kommen.
Aber vielleicht könnte ich doch für andere genau solch ein Rettungsanker sein, oder? Indem ich von meiner Rückkehr ins sorgenfreie Leben erzähle und sie auffangen würde, sobald sie nicht mehr weiterwüssten. Irgendwie gefällt mir diese Vorstellung immer besser: meine Story als Mutmacher! Das gäbe ihr eine Art Sinn. Und mir das Gefühl, sie nicht umsonst durchlitten zu haben.