Rebekka postet unter "Mein Leben mit Glasknochen" auf Instagram über Inklusion, Barrierefreiheit, Kinderwunsch und LGBTIQ*-Themen. Für unseren Blog schreibt sie über ihren Kinderwunsch mit Behinderung - der leider noch alles andere als selbstverständlich ist.
„Wollen Sie einen Jungen oder ein Mädchen?“ fragte mich vor einigen Jahren mein Gynäkologe, als ich als Frau mit Behinderung meine Kinderwunschpläne angesprochen habe.
Als ich geantwortet habe, dass es mir nicht egaler sein könnte, da ich mich für ein KIND und nicht für ein Geschlecht entschieden hätte, entgegnete er mir grinsend: „Richtig so, Hauptsache gesund.“
Dieses „Hauptsache gesund.“ ließ mich zusammenzucken, da dieser Satz in mir als Frau, die von der Mehrheitsgesellschaft offensichtlich nicht als „gesund“ tituliert werden würde, viel auslöste. Zum Glück fiel mir ein passender Konter ein: „Und wenn nicht? Es ist trotzdem MEIN Kind, das deshalb kein bisschen weniger geliebt werden wird.“
Beschämt entschuldigte sich mein Gynäkologe bei mir für die unachtsame Bemerkung. Ich wurde dann aufgrund des Kinderwunsches an die Humangenetik überwiesen, wo ich über die Vererbbarkeit der Glasknochen aufgeklärt wurde. Dort hat man mir erklärt, dass man nicht sagen kann, wie hoch das Risiko einer Vererbung ist, man könne mir aber garantieren, dass Glasknochen bereits im Mutterleib durch Untersuchungen festgestellt werden können und man mir auch noch in der Spätschwangerschaft die Möglichkeit einer Abtreibung anbieten würde, sollte mein ungeborenes Kind auch Glasknochen haben.
In diesem Moment wusste ich, dass mich diese Kinderwunschklinik nie wieder sieht, denn keine zukünftige Mutter möchte hören, dass so über ihr noch nicht mal gezeugtes Kind gesprochen wird. Aufs Wesentliche reduziert, hat man mir damit gesagt, dass ich mir keine Sorgen machen solle, denn ein Kind wie mich, würde man auch sehr spät noch abtreiben können.
Warum betrachtet es unsere Gesellschaft als völlig legitim, dass derart abwertend über das Leben von Menschen mit Behinderung gesprochen werden darf? Noch schlimmer ist es, wenn selbst Ärzt:innen einen derart ableistischen Sprachgebrauch an den Tag legen, der zu verstehen gibt, dass ein Leben mit Behinderung ein Leben zweiter Klasse ist.
Auch als ich als Frau im Rollstuhl auf meinem Instagram-Blog meinen Kinderwunsch öffentlich angesprochen habe, wusste ich nicht, worauf ich mich da einlasse. Es waren viele bestärkende Nachrichten dabei, aber genau so gab es eine Vielzahl an Stimmen, die mir für einen Wunsch, der für Frauen meines Alters absolut legitim ist, Egoismus vorgeworfen haben. „Es gibt schon genügend Leid auf dieser Welt, man müsse nicht noch mehr Leid in die Welt setzen.“ oder „Behinderte sollten überhaupt keine Kinder kriegen DÜRFEN!“ oder „Wenn man selbst behindert ist, sollte man wissen, wie traurig so ein Leben ist, sich dann noch zu reproduzieren, ist purer Egoismus.“ – All das kam von Menschen, die nicht die geringste Ahnung von der Lebensrealität behinderter Menschen haben und deshalb ein sehr verzerrtes Bild von Menschen mit Behinderung haben.
Die Gesellschaft muss endlich aufhören, das Leben von behinderten Personen ständig abzuwerten und die Beurteilung, wie lebenswert ein Leben ist, den Betroffenen selbst überlassen.
One comment on “"Hauptsache gesund?"”
Liebe Rebekka,
ich selbst habe auch ein großes Problem mit "Hauptsache gesund!" Bei meiner ersten Tochter stellte sich in der Frühschwangerschaft heraus, dass sie schwer krank war und wahrscheinlich die Schwangerschaft nicht überleben würde. Wie mir das von meiner Gynäkologin mitgeteilt wurde, dass etwas nicht in Ordnung war, war sehr problematisch. Sie sagte: "So etwas habe ich noch nicht gesehen! Das müssen Sie unbedingt untersuchen lassen." Ich hatte explizit KEINE Feindiagnostik bzw. Nackenfaltenmessung machen wollen, dann wurde mir ungefragt mitgeteilt, dass die Nackenfalte so dick war, dass sie niemand übersehen könnte. Ich habe sehr für das Leben meiner Tochter gekämpft, die einen "Gendefekt" sowie einen sehr schweren Herzfehler hatte und sie ist tatsächlich während einer OP zwei Wochen nach Ihrer Geburt gestorben. Immer wieder in der Schwangerschaft wurde mir ein Abbruch angeboten, so als würde meine Entscheidung nicht respektiert. Ihren Tod und die Trauer um sie, die sind gut in mein Leben integriert, womit ich aber immer noch hadere und kämpfe ist, wie man mit uns von Anfang bis Ende umgegangen ist. Und auch jetzt in der Schwangerschaft mit meinem dritten Kind, stolpere ich immer wieder über dieses "Hauptsache gesund", denn nach dem Tod meiner Tochter war ich mir nicht sicher, ob ich mir das überhaupt wünschen sollte, weil ich sie ja so auch geliebt habe und wer bin ich darüber zu urteilen, ob ein "ungesundes" Leben laut unserer Definition weniger lebenswert ist? Als ich ein paar Monate nach ihrem Tod zur Akupunktur gegangen bin, bin ich an eine sehr feinfühlige Frau geraten und habe mit ihr über mein Problem mit der Phrase gesprochen und sie sagte: "Nein, Hauptsache geliebt! Das ist das Wichtigste!" Und das ist auch heute meine Antwort, wenn jemand sagt, Hauptsache gesund. Ich wünsche dir alles, alles Gute für deinen Weg zu einem Kind!