Pressemeldung zur Präsentation des Fertility Atlas

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19/06/2024

Fertilitätspolitik im europäischen Vergleich: Schlechtes Zeugnis für Österreichs Umgang mit Unfruchtbarkeit

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Von der Diagnostik über die psychosoziale Beratung bis zur Finanzierung: Wer in Österreich von Unfruchtbarkeit betroffen ist, steht in Punkto eigenem Kinderwunsch vor großen Hürden und hohen Kosten. Nur 56,3 Prozent erreichte die Alpenrepublik bei einem Vergleich der Fertilitätspolitik von 49 europäischen Ländern. An der Spitze stehen Belgien und die Niederlande mit 89 Prozent. Punkteabzüge gibt es für Österreich, weil beispielsweise die Kosten für die Behandlungen nur teilweise übernommen werden und Krankheitsbilder sowie entsprechende Diagnosen für den In-Vitro-Fertilisation-Fonds notwendig sind. Zudem ist alleinstehenden Frauen die Samenspende nach wie vor verboten. Heute Vormittag wurde bereits die zweite Auflage des Fertility Atlas, der die Rechtslage der Reproduktionsmedizin innerhalb der Europäischen Union vergleicht, im Österreichischen Parlament vorgestellt. Erstellt wurde dieser von Fertility Europe und dem European Parliamentary Forum for Sexual and Reproductive Rights (EPF).

Jeder sechste Mensch auf der Welt ist nach einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation unfruchtbar. Obwohl Unfruchtbarkeit eine von der Weltgesundheitsorganisation anerkannte Krankheit ist und in Europa rund 25 Millionen Menschen betroffen sind, gibt es diese Diagnose in Österreich nicht. Um die Bedeutung von Fertilität als Thema der öffentlichen Gesundheit zu unterstreichen, luden EPF-Präsidentin Petra Bayr (Abg.z.NR SPÖ), die Österreichische Gesellschaft für Familienplanung (ÖGF) und die Patient:innen-Organisation „Die Fruchtbar - Verein Kinderwunsch Österreich“ zur Präsentation der zweiten Auflage des Atlas zur europäischen Fertilitätspolitik. Der Atlas gibt einen Überblick über die Fertilitätspolitik in 49 europäischen Ländern.

02 European Atlas Of Fertility Treatment Policies

Bewertungskriterien waren die gesetzlichen Grundlagen, die finanzielle Unterstützung von Betroffenen, der Zugang für gleichgeschlechtliche Paare und alleinstehende Frauen, die vorhandenen Behandlungsmöglichkeiten (Vorschriften für Samen-, Eizellen- und Embryonenspende; genetische Tests) sowie die psychologische Unterstützung und Aufklärungsprogramme zur Unfruchtbarkeit.

„Europäische Bürger*innen, die ein Kind möchten, müssen die Unterstützung bekommen, die sie brauchen. Die Politik ist verpflichtet, Lösungen anzubieten, damit alle Menschen selbstbestimmt über ihre Fortpflanzung entscheiden können. Gleichzeitig sollte auch auf den demografischen Wandel reagiert werden. In Österreich bedeutet das die Anerkennung der WHO-Definition von Unfruchtbarkeit und einen gleichberechtigten Zugang zu geförderten Behandlungen. Alle Patient*innen sollten die psychologische Unterstützung bekommen, die sie brauchen“, sagt Anita Fincham, Advocacy Manager Fertility Europe.

„Der European Atlas of Fertility Treatment Policies ist ein wichtiges Instrument für politische Entscheidungsträger zur Bekämpfung der Unfruchtbarkeit. Dieser Atlas liefert wichtige Daten für die Gestaltung von Maßnahmen, die einen gleichberechtigten Zugang zu Fruchtbarkeitsbehandlungen gewährleisten. Wir fordern die politischen Entscheidungsträger auf, das universelle Recht auf Kinderwunsch anzuerkennen, öffentliche Mittel bereitzustellen und das Stigma der Unfruchtbarkeit abzubauen. Gemeinsam können wir ein integrativeres Umfeld für die reproduktive Gesundheit schaffen“, sagt Leonidas Galeridis, Policy and Research Officer European Parliamentary Forum for Sexual and Reproductive Rights (EPF).                                                                                           

Betroffene finanziell und emotional stark belastet

„Für das österreichische, öffentliche Gesundheitssystem gibt es Unfruchtbarkeit nicht. Betroffene Paare werden – bis auf die Förderung durch den IVF-Fonds – mit der Diagnose finanziell und emotional alleine gelassen. Sie sind im Normalfall auf teure, private Ärzt*innen und Kinderwunschzentren angewiesen. Unfruchtbarkeit trifft aber nicht nur gutverdienende Paare, die ihren Kinderwunsch Karriere bedingt nach hinten verschoben haben. Wir haben in unserer Selbsthilfegruppe beispielsweise Kindergartenpädagoginnen, die ihren Beruf nicht mehr ausüben können, weil die seelische Belastung so groß ist. Kostengünstige Familienberatungsstellen sind aber leider oft mit Müttern oder Schwangeren überfüllt und in der Regel nicht entsprechend spezialisiert“, sagt Christina Fadler, Obfrau des Vereins „Die Fruchtbar“ und Vorstandsmitglied von Fertility Europe.

Die In-vitro-Fertilisation (IVF) wird zwar vom IVF-Fonds zu 70 Prozent finanziert, die zusätzlichen Kosten für weitere Untersuchungen sind jedoch nicht enthalten. Zudem sind rund € 1.100 pro Behandlung selbst zu bezahlen. Problematisch sind auch die Voraussetzungen für die Förderung der IVF: Gefordert ist das Vorliegen einer entsprechenden Diagnose (bspw. PCOS, tubare Funktionsstörung, Endometriose, Sterilität des Mannes) und das Unterschreiten der Altersgrenze von 40 Jahren für Frauen. Beides wird stark kritisiert. Die Kosten für weniger belastende Behandlungen, wie beispielsweise Inseminationen, müssen sogar vollständig getragen werden.

Alleinerziehende Frauen und gleichgeschlechtliche Paare diskriminiert

In Österreich ist eine Kinderwunschbehandlung alleinstehenden Frauen nicht zugänglich, während sie in Nachbarländern wie Deutschland oder Tschechien möglich ist. Das bedeutet, dass österreichische Frauen zur Erfüllung ihres Kinderwunsches ins EU-Ausland ausweichen müssen. Während der Zugang zu Kinderwunschbehandlungen für gleichgeschlechtliche weibliche Paare in Österreich hervorzuheben ist, ist dies im europäischen Vergleich nur in 22 von 49 Ländern der Fall. Gleichgeschlechtlichen männlichen Paaren bleibt der Zugang zur Eizellspende und damit zur Erfüllung ihres Kinderwunsches verwehrt, zumal Leihmutterschaft in Österreich verboten ist.

Forderungen nach einheitlichen Regelungen

Im Rahmen der Arbeit am Fertility Atlas haben EPF und Fertility Europe Forderungen an die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten formuliert. Dazu gehört die EU-weite Anerkennung des universellen Rechts aller Menschen, Kinder zu bekommen. Darüber hinaus soll ein gleichberechtigter und sicherer Zugang zu Fertilitätsbehandlungen gewährleistet und öffentliche Mittel zur Förderung von Fertilitätsbehandlungen bereitgestellt werden. Der öffentliche Sektor soll Informationen über (Un-) Fruchtbarkeit bereitstellen und Aufklärungsarbeit leisten, um das Stigma der Unfruchtbarkeit zu beseitigen. Eine Übersicht über Forderungen der Patient:innen-Organisation „Die Fruchtbar - Verein Kinderwunsch Österreich“  können unter diefruchtbar.at/unsere-forderungen eingesehen werden.

„EPF hat eine lange Tradition in der Herausgabe von thematischen Atlanten, etwa zu den Politiken rund um Verhütung, Abtreibung oder HPV-Prävention. Der Fruchtbarkeitsatlas ist der erste seiner Art und bietet Politikerinnen und Politikern die Möglichkeit, ihre Politik zum Thema zu evaluieren, Vergleiche anzustellen und zu sehen, wo Aufholbedarf ist.

Wir sehen, dass der Vergleich mit Nachbarn dazu motivieren kann, Politiken anzupassen - dabei geht es natürlich nicht bloß darum besser zu werden als die Nachbarländer, sondern den Bürgerinnen und Bürgern bessere Zugänglichkeit zu den unterschiedlichen reproduktionsmedizinischen Leistungen zu bieten“, sagt Petra Bayr (Abg. NR SPÖ), Präsidentin European Parliamentary Forums for Sexual and Reproductive Rights.

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Bild 01: vlnr. Anita Fincham (Advocacy Manager Fertility Europe), Vladislav Velizanin (Advocacy Associate EPF), Christina Fadler (Gründerin und Obfrau der Patient*innen-Organisation „Die Fruchtbar - Verein Kinderwunsch Österreich“ & Vorstandsmitglied Fertility Europe), Petra Bayr (Abgeordnete zum Nationalrat SPÖ, Präsidentin European Parliamentary Forum for Sexual and Reproductive Rights EPF) und Leonidas Galeridis (Policy and Research Officer European Parliamentary Forum for Sexual and Reproductive Rights EPF)

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