Bei einer meiner zahlreichen Recherchen für die Fruchtbar bin ich auf eine spannende Broschüre der Stadt Wien gestoßen: „Psychosoziale Aspekte bei der Assistierten Reproduktion – Konsensuspapier“. Ich war ganz begeistert – über die psychosozialen Aspekte im Kinderwunsch wird leider viel zu wenig gesprochen. Ja, wir unterschreiben alle im IVF-Fonds-Vertrag, dass wir uns Hilfe holen, wenn wir sie brauchen. Und manche Kliniken bieten auch kostenlose Beratungen an. Doch nie waren die psychologischen Aspekte bei uns Teil der Beratung im Kinderwunschzentrum. Umso mehr freue ich mich über das Gespräch mit Mag.a Anita Weichberger, die an der Broschüre mitgearbeitet hat. Sie ist Klinische Psychologin an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde in Wien und Leiterin des Referats für Kinderwunsch im Berufsverband Österreichischer Psychologinnen und Psychologen.
Christina: Liebe Frau Weichberger, wie ist denn diese Broschüre entstanden?
Anita Weichberger: Das Wiener Büro für Frauengesundheit bietet seit längerem eine Plattform für die Vernetzung von Fachleuten, die Familien und Frauen rund um die Geburt eines Kindes begleiten (Hebammen, ÄrztInnen, PsychologInnen, PsychotherapeutInnen). Bei diesen Treffen wurde die Idee aufgegriffen und im Rahmen mehreren Treffen das Konsensuspapier zusammen mit Reproduktionsmediziniern erarbeitet. Ziel war es dabei, den Fokus auf die psychosozialen Aspekten des unerfüllten Kinderwunsches und deren Behandlung zu lenken.
In der Anfangszeit der IVF-Behandlungen in Österreich arbeitete einer der Pioniere, Dr. Peter Kemeter mit einer Psychotherapeutin, Dr. Jutta Figl eng zusammen und so wurden die psychischen Aspekte in die Behandlung miteinbezogen. Es gab auch damals viele Publikationen zum Thema. Das ist aber mittlerweile leider weniger geworden. Die Institute boomen, aber in dieser psychisch anstrengenden und emotional so schwierigen Zeit wird den Frauen, den Paaren, kaum aktiv psychologische Unterstützung angeboten.
Wir haben deshalb auch eine Arbeitsgruppe im Psychologenverband gegründet, die gemeinsame Standards für die psychologische Unterstützung rund um Kinderwunsch erarbeitet. In Deutschland gibt es hier ja sogar den BKID, die Deutsche Gesellschaft für Kinderwunschberatung https://www.bkid.de/.
Weiters muß die Möglichkeit zu einer ausreichenden psychologischen Beratung und einer psychotherapeutischen Betreuung gegeben sein.
§ 5, Abs. 2 Fortpflanzungsmedizingesetz
Christina: Was sind denn so die wichtigsten Punkte, speziell in der psychologischer Begleitung beim Kinderwunsch?
Anita Weichberger: Es ist wirklich wichtig, der Trauer Raum zu geben. Mit jedem Versuch keimt neue Hoffnung auf: Wann wäre der Geburtstermin? Wie schaut der nächste Urlaub aus? Mit jedem negativen Schwangerschaftstests muss frau bzw. das Paar sich dann von dem Kind verabschieden, dazu gehören auch viele Tränen und viele Gespräche. Viele Frauen fürchten sich aber vor der Trauer. Sie sagen sich dann: „Ich darf nicht traurig sein. Ich kann es ja wieder versuchen.“ Sehr schnell geht es dann an den nächsten Versuch, und die Trauer, die so wichtig wäre, bleibt auf der Strecke. Im Kopf entsteht dann das Bild, dass ich nur mit einer Schwangerschaft glücklich sein kann. Dass ich endlich ein Kind haben will und damit ans Ziel kommen. Viele gehen dann in eine Schwangerschaft und sind überfordert – denn das Zittern geht ja weiter! Es bleibt eine ständige Sorge und dieses Bild, das im Kopf entstanden ist „Wenn ich schwanger bin, werde ich glücklich sein“ wird nicht wahr. Das ist dann vielleicht auch eine weitere Enttäuschung – wann wird es mir denn wirklich besser gehen?
Die nicht gelebte Trauer wird aber nicht nur für die werdende Mutter zum Problem – sie schafft auch große Erwartungen an das Kind. Das erschwert das Leben der Eltern und der Kinder: Kann das Kind so akzeptiert werden, wie es ist? Wird dadurch die Beziehung zum Kind zu sehr aufgeladen?
Ein wichtiger Punkt, den wir in der Broschüre auch abdecken wollten, war die Eizell- oder auch Samenspende. In den Kinderwunschzentren ist das oft der logische nächste Schritt, wenn Probleme mit der Eizellqualität auftauchen. Dass das psychodynamisch etwas ganz anderes ist, dass dadurch ein Dritter, ein Fremde(r) in die Familiendynamik eintritt, wird unterschätzt. Es gibt kein verpflichtendes psychologisches Gespräch. Wir sehen dann aber, dass Betroffene mit all ihren Gefühlen und Gedanken den fremden Anteilen des Kindes gegenüber oft alleine dastehen. Psychologische oder psychotherapeutische AnsprechpartnerInnen fehlen leider oft.
Christina: Frau Weichberger, wie sind Sie denn überhaupt zu diesem Thema gekommen?
Anita Weichberger: Ich bin als klinische Psychologin am AKH über die Geburtshilfe mit dem Thema zum ersten Mal in Kontakt gekommen. Mich berührt das Thema wahnsinnig, auch dieses Überthema der Neuorientierung: Das zieht sich ja durchs Leben. Ich habe selbst Kinder und Mutter zu werden war schon als junges Mädchen ganz wichtig für mich. Ich weiß es nicht, wie ich es mir ergangen wäre, wenn es nicht geklappt hätte… Aber bei Kinderwunschpaaren entsteht oft diese Erwartung: „Wenn ich ein Kind habe, dann ist alles gut und alles hat einen Sinn.“ Verstehen Sie mich nicht falsch, Kinder sind wunderschön und eine Erfüllung. Aber es ist nicht alles gut und alles hat einen Sinn, nur weil man Kinder hat.
Christina: Vielen Dank für das Gespräch!
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